Illegale Drogen und Fahrerlaubnis - Eine Bestandsaufnahme

Im letzten Jahrzehnt hat sich der Schwerpunkt bei Straßenverkehrskontrollen vom Alkohol
auf andere Rauschmittel verlagert. Diese Entwicklung korrespondiert augenscheinlich mit
der leichten Liberalisierung im Umgang mit Konsumenten illegalisierter Drogen, die aus der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 folgte. Mittlerweile ist es den Gegnern
dieser etwas entspannteren Rechtspraxis gelungen,diese Tendenz wieder umzukehren. Eines
ihrer Instrumente ist der geradezu hysterische Diskurs, der zurzeit in Bezug auf den Komplex
Drogen und Straßenverkehr befördert wird. Diese empirisch nicht zu belegene Konstruktion
von Gefahr und gesellschaftlichem Missstand sowie die nachfolgende Sanktionierung
der Betroffenen vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen.

In erster Linie werden bestimmte Bevölkerungsgruppen als latente Drogenfahrer stigmatisiert.
Die polizeiinternen Schulungsunterlagen "Maßnahmen zur Beweissicherung und Verdachts-
gewinnung im Straßenverkehr" geben hier erste Hinweise. Gemäß VB 3.5.1 befinden sich
Fahrzeuge von „Drogenabhängigen" häufig in einem „sehr ungepflegte[n] Allgemeinzustand",
es „werden relativ leicht zu behebende Mängel (...) ignoriert". Auch indizieren „verschiedenfarbige Karosserieteile" den Konsum illegalisierter Drogen, denn aus „dem Fahrzeugzustand" könne „eine Analogie zur Lebensphilosophie des Fahrers" hergeleitet werden. „Bewegungsvolle Kommunikation mit anderen Fahrzeuginsassen" oder „Trinken im Fahrzeug" sowie „übermäßig" laute „szenetypische Musik (Techno)" deuten auf ein Drogen zugeneigtes Publikum hin. In der Praxis scheinen ferner Männer mit langen Haaren oder Personen mit auffälligerem Äußeren (farbige oder besonders getragene Haare, Piercings, Tätowierungen) besonders betroffen  zu sein. Schließlich scheinen auch insbesondere jüngere Männer als besonders erfolgsversprechend angesehen zu werden.

Vor dem Hintergrund einer solchen, von etwaigen Fahrauffälligkeiten unabhängigen Auswahl
finden dann "allgemeine" Verkehrskontrollen statt. Wie die rechtsanwaltliche Praxis zeigt,
werden sodann die zunächst angezeigten "Feststellungen zur Verkehrssicherheit" (Führerschein, Verbandskasten, Warndreieck) abgekürzt und das Augenmerk unmittelbar auf den eigentlichen Schwerpunkt des Interesses gelenkt. Da die vorbezeichneten Verdachtsmomente gleichwohl nicht ausreichen, um unmittelbar einen Drogentest vorzunehmen, bemühen sich die Beamten zunächst um einen formellen Anfangsverdacht, der dann weitere Maßnahmen (Urin-/Blutprobe, ggf. Durchsuchung von Auto oder Insassen) rechtfertigt. Wird ein solcher Anfangsverdacht nicht schon aus einer tatsächlichen oder behaupteten Fahrauffälligkeit abgeleitet, dann wird zunächst versucht, mittels scharfer und oftmals redundanter Befragung eine Grundlage herzustellen.  Dass die Betroffenen hier eigentlich schon Beschuldigte i.S.d. Straf- und/oder Ordnungswidrigkeiten sind und selbstverständlich eine Rechtsbelehrung zu erfolgen hätte, scheint regelmäßig
übersehen zu werden. Ebenso wenig scheint bekannt zu sein, dass auch (vermeintliche) Zeugen bei der Polizei keinerlei Angaben machen müssen. Äußerungen der Beschuldigten, sie hätten irgendwann einmal Cannabis konsumiert, werden sodann dankbar aufgegriffen. Sehr beliebt ist auch der Pupillenreaktionstest. Auch hier scheinen es die Beamten mit dem Ergebnis oft nicht so genau zu nehmen. Dass etwa bei gleißendem Sonnenlicht die Pupille nicht reagiert, wenn man mit der Taschenlampe hineinleuchtet, erstaunt eigentlich wenig. Diese Haarspalterei nützt aber im Nachhinein nichts. Oft drängt sich der Verdacht auf, dass (k)eine Pupillenreaktion auch einfach nur behauptet wird. Die wenigsten Betroffenen weigern sich, diesen Test ohne Grund über sich ergehen zu lassen. Aufgrund der Häufung entsprechender Berichte der Betroffenen kann aus grundsätzlichen Erwägungen dem Einzelnen nur empfohlen werden, anschließend im Wege der Dienstaufsicht vorzugehen.

Auch sichtbares Konsumequipment oder sogar das Auffinden von Drogen begründen eigentlich keinen Anfangsverdacht für eine Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr unter dem Einfluss von psychoaktiven Substanzen. Jedenfalls für Cannabisprodukte unterstellen weder das Gesetz noch die Rechtsprechung den Konsumenten generell ein fehlendes Trennungsvermögen zwischen Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr. Etwas anderes gilt allerdings für Konsumenten anderer illegalisierter Rauschmittel. Gleichwohl müssten eigentlich auch dort aktuelle Konsumanzeichen vorliegen, um die Anordnung einer Blutprobe zu rechtfertigen.

Weiterhin fällt eine zunehmende Organisation der Kontrollen auf. Es ist aus der Kriminologie
lange bekannt, dass bei sogenannten Modedelikten infolge erhöhter Aufmerksamkeit und
Kontrolle ein formeller Anstieg der Fallzahlen produziert wird, ohne dass tatsächlich eine
Zunahme vorliegt. Es findet lediglich eine periodische Erhellung des Dunkelfeldes statt.
Dieser Effekt wird potenziert durch die Wahl besonderer zeitlicher und örtlicher Schwerpunkte.
So ist es mittlerweile üblich, große elektronische Musikveranstaltungen komplett zu umstellen
und einer nahezu ubiquitären Kontrolle zu unterwerfen. Man stelle sich Entsprechendes z.B.
für das Münchner Oktoberfest oder die närrische Zeit im Rheinland vor. Es wäre eine explosions-artige Erhöhung der Alkoholauffälligkeiten zu erwarten.Im Ergebnis werden dann oftmals noch geringere Wirkstoffmengen festgestellt. Deren Relevanz für die konkrete Fahreignung erscheint häufig zweifelhaft zu sein. Regelmäßig wird es sich ferner um die erste Auffälligkeit handeln. Gleichwohl werden die Betroffenen mit einer Vielzahl von Konsequenzen konfrontiert. Die Folgen aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht sind hierbei mit Einschränkung noch nachvollziehbar (ca. 500 Euro Buße und Kosten und einen Monat Fahrverbot).

Zweifelhaft erscheinen dagegen die Anordnung einer Eignungsuntersuchung oder sogar die
sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahrerlaubnisrechts (FeV).
Hier kommt eine pauschale und kaum zu begründende Wertung zum Ausdruck, mit der die
Konsumenten illegalisierter Rauschmittel generell Verantwortungslosigkeit und Kontrollverlust
unterstellt wird. Diese Ungleichbehandlung zur Droge Alkohol dürfte in Bezug auf Cannabis-
produkte und m.E. wohl auch viele andere psychoaktive Substanzen kaum haltbar sein.
Wird bei Cannabisprodukten von Gesetzes wegen immerhin noch insoweit differenziert,
als dass regelmäßig ungeeignet ist, wer entweder mehr als gelegentlich konsumiert oder den
Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen kann, so stellt der nachgewiesene
Konsum anderer Rauschmittel unabhängig von der Teilnahme am Straßenverkehr regelmäßig
einen Tatbestand dar, der die grundsätzliche Fahreignung entfallen läßt. Diese pauschale
Konsequenz wird empirisch und rechtstheoretisch kaum zu begründen sein und es kommt der
Verdacht auf, dass gesetzgeberisches (apokryphes) Motiv die Disziplinierung bestimmter
Bevökerungsgruppen ist. Wird sodann im Überprüfungsverfahren oder im Rahmen eines
Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines Gutachtens angeordnet, so
korrespondiert das mit einer Vielzahl finanzieller Verpflichtungen und persönlicher Preisgaben.
Ein ärztliches Gutachten (Urinproben/Haarprobe ggf. Blutuntersuchung) wird nicht unter 200 Euro zu haben sein. Häufiger wird eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werden. Hierfür ist mit ca. 600 Euro zu rechnen. Regelmäßig wird ferner versucht werden, im Vorfeld Vorbereitungskurse zu verkaufen bzw. im Nachgang z.B. im Rahmen der Anordnung eines Kurses zur Wiederherstellung der Fahreignung. Hier scheint sich ein florierender Markt entwickelt zu haben. Während der Untersuchung bzw. im Rahmen der Vor- oder Nachbereitung sind ferner eine Vielzahl persönlicher Daten preiszugeben, die aufgrund des Gutachtens über Jahre behördlich verfügbar sind. Die gutachterliche Praxis verlangt zumindest in Hamburg dann vom Probanden tendenziell eine totale Unterwerfung unter den herrschenden Diskurs. In einem wahren Eiertanz zwischen fehlender Reflexion („Ich weiß gar nicht genau, warum ich konsumiere"), Kontrollverlust („Ich wollte eigentlich gar nicht konsumieren") und/oder fraglicher Dinstanz („Ich konsumiere gelegentlich ganz gerne mal") hat nur derjenige Aussichten auf ein positives Votum des Gutachters, der für die Zukunft die Absicht vollständiger Abstinenz darlegt. Auf der Grundlage zweifelhafter Beurteilungsrichtlinien stellen die Institute Anforderungen, die zumindest in Bezug auf Cannabis die ohnehin rigiden gesetzlichen Wertungen noch übertreffen. Bei dieser Gelegenheit kommt oft eine erschreckende Unkenntnis der Wirkung des Rauschmittels und gesellschaftlicher Realitäten zum Ausdruck. Sind Fahr- oder Verhaltensauffälligkeiten festgestellt oder behauptet worden, droht darüber hinaus auch noch ein Strafverfahren. Hierbei werden wie auch immer geartete Auffälligkeiten immer auf den Einfluss der Substanzen zurückgeführt. Dieses erscheint insbesondere bei kleineren THC-Mengen im Blut häufig zweifelhaft. Auch in diesem Rahmen ist das Fehlen realistischer gesetzlicher Grenzwerte äußerst problematisch. Natürlich soll nicht verkannt werden, dass der motorisierte Straßenverkehr Risiken und Gefahren beinhaltet. Doch der Autor vertritt die These, dass durch die vorbezeichneten Mechanismen diejenigen empirischen
und inhaltlichen Grundlagen, die als Rechtfertigung im Vorfeld lediglich behauptet sind, erst
geschaffen werden – und dass auf Kosten existentieller Betroffenheit (Entzug der Fahrerlaubnis) einer Vielzahl von Personen. Weiterhin wird ein Klima befördert, das einem liberaleren (Drogen-) Cannabisdiskurs entgegentreten soll. Bei dieser Gelegenheit werden Konsumenten diszipliniert und Charakterzüge befördert (Opportunismus, Eigennutz), denen an anderer Stelle (z.B. Gewalt
im öffentlichen Raum, Minderheitenfeindlichkeit) angeblich dringend entgegengewirkt wird.